Cherrypicking in der Nachhaltigkeit

30.10.2024

Das englische „Cherrypicking“ beschreibt, ähnlich wie das deutsche „Rosinenpicken“, ein Vorgehen, bei dem man sich das Beste herauspickt und sich für den Rest nicht interessiert. In der Nachhaltigkeitskommunikation ist das allerdings eine zunehmend problematische Praxis, bei der Unternehmen oder Organisationen die positiven Aspekte ihrer Nachhaltigkeit hervorheben und weniger vorteilhafte Informationen verschweigen. 

Cherrypicking kann zum Beispiel unbeabsichtigt entstehen, wenn man sich zu sehr auf gut kommunizierbare Details konzentriert und dabei das große Ganze aus dem Auge verliert. Problematisch wird es, wenn es mit gesetzlichen Regelungen kollidiert – zum Beispiel UWG, Green Claims, EmpCo.

Beispiele für Cherrypicking

Dass Unternehmen sich Rosinen ihrer Nachhaltigkeitsleistung herauspicken ist häufig anzutreffen. Hier einige Beispiele für Cherrypicking:

  1. Hervorhebung ausgesuchter Indikatoren: Unternehmen heben gezielt positive Umweltindikatoren (etwa die Reduktion des Wasserverbrauchs) hervor, ohne gleichzeitig über negative Auswirkungen (etwa hohe CO-Emissionen) zu informieren. 
  2. Fokussierung auf einzelne Projekte: Unternehmen haben sich intern nicht um nachhaltige Produktionsprozesse bemüht, aber sie betonen einzelne umweltfreundliche Projekte. Oder sehr große Unternehmen haben zwar nachhaltige Tochtermarken, aber der Gesamtkonzern ist es nicht. 
  3. Selektive Berichterstattung: Unternehmen veröffentlichen völlig legitim Berichte über ihre erfolgreichen Nachhaltigkeitsmaßnahmen – lassen Misserfolge oder Rückschläge aber unerwähnt. Das ist verständlich, führt aber dazu, dass Kund:innen zum Beispiel dauerhaft nicht verstehen, wo die Grenzen des unternehmerischen Einflusses liegen (zum Beispiel bei den lokalen politischen Bedingungen in Zulieferländern). 
  4. Irreführende Kommunikation über Materialien: Unternehmen betonen die Verwendung eines nachhaltigen Materials in einem Produkt, obwohl der Rest des Produkts aus weniger umweltfreundlichen Materialien besteht. Typisch ist hier die betonte Kommunikation zur nachhaltigen Verpackung, ohne über den Impact des Produktes zu sprechen. 
  5. Überbetonung von Siegeln: Unternehmen stellen bestimmte Umweltzertifikate, Labels oder Belege in den Vordergrund, ohne darauf hinzuweisen, dass diese nur einen kleinen Teil ihrer gesamten Aktivitäten betreffen beziehungsweise ohne diese Aktivitäten sinnvoll in einen Gesamtkontext einzuordnen. 

Ist Cherrypicking immer Greenwashing? 

Das Thema Cherrypicking ist nicht so eindeutig, wie es manchen erscheint. Natürlich erzeugt es ein umweltfreundlicheres Image und kann daher als bewusstes Greenwashing eingesetzt werden. Aber das ist keineswegs immer der Fall. 

Nicht selten picken Menschen im Marketing sich die Rosinen heraus aus dem verständlichen Wunsch, einen tatsächlichen Umweltvorteil via Marketing „besonders gut zu verkaufen“. Nachhaltigkeit ist kompliziert, versteht sich nicht von selbst, und Maßnahmen verursachen auch Kosten – um Kund:innen zu überzeugen, ist die Unternehmenskommunikation förmlich gezwungen, sich vor allem auf jene Aspekte zu konzentrieren, die den Wünschen der Konsument:innen entsprechen. Ein Beispiel ist auch hier wieder die Verpackung, die unter Umständen nur einen geringen Beitrag zum ökologischen Fußabdruck beisteuert – aber von Kund:innen häufig überdurchschnittlich bewusst wahrgenommen wird. 

Manches Cherrypicking entsteht auch aus dem Wunsch heraus, modische Initiativen zu unterstützen. Ein Beispiel ist das per se nicht falsche „Bäumepflanzen“, das zeitweilig ja überhandnahm. Das Problem: Unabhängig von der Qualität der gewählten Projekte (ein ganz eigenes Thema) haben solche Initiativen selten etwas mit dem Geschäftsmodell zu tun und dienen nicht der nachhaltigen Transformation des eigenen Unternehmens. Andererseits sind viele Initiativen für sich genommen sinnvoll und kämpfen um finanzielle Unterstützung – zuweilen mag es klüger sein, sie zu unterstützen, hierbei aber nicht in die „Überkommunikation“ zu geraten – und es auch sinnvoll in den Kontext der Geschäftstätigkeit zu stellen. 

Sich nur die Rosinen der Nachhaltigkeit herauszupicken kann Probleme machen 

Cherrypicking führt zu einer verzerrten Wahrnehmung der tatsächlichen Nachhaltigkeitspraktiken eines Unternehmens und birgt das Risiko, Verbraucher:innen und Interessengruppen bewusst oder unbewusst in die Irre zu führen. 

Rechtlich kann Cherrypicking daher mit einigen Regeln kollidieren: 

  • Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) kann Cherrypicking betreffen, da es die selektive Darstellung von Informationen verbietet, die ein verzerrtes Bild des Produkts vermitteln und zu einer Kaufentscheidung führen, die (ohne Cherrypicking) anders ausgefallen wäre. 
  • Die Green-Claims-Richtlinie (GCD) fordert eine vollständige, verständliche und transparente Darstellung der Umweltauswirkungen, während Cherrypicking oft nur selektive und vorteilhafte Informationen präsentiert und ein verzerrtes Bild liefert. Probleme sind vorprogrammiert. 
  • Die Consumer Empowerment Directive (EmpCo) will die Rechte der Verbraucher:innen stärken und sicherstellen, dass sie fundierte Entscheidungen treffen können. Cherrypicking vermittelt aber ein unvollständiges oder irreführendes Bild der Nachhaltigkeitspraktiken eines Unternehmens und macht sich hier angreifbar. 

Vereinfacht gesagt: Sobald die Kund:innen daran gehindert werden, eine im Sinne der Nachhaltigkeit vollständig informierte Kaufentscheidung zu treffen, kann Cherrypicking zu Problemen führen. Selbst wenn diese nicht juristisch ausfallen, bleibt – etwa bei Berichterstattung oder Social-Media-Kampagnen – noch das Reputationsproblem. 

Wie Sie Cherrypicking vermeiden können 

Unternehmen stehen vor der Schwierigkeit, nicht alle Probleme auf einmal lösen zu können, sondern sich auf bestimmte Herausforderungen fokussieren zu müssen. Zugleich sollen Erfolge kommuniziert werden, erst recht, wenn nicht bloß eine Regulierung erfüllt wird, sondern das Unternehmen tatsächlich verantwortlich handelt. 

Hilfreich kann hier die CSRD sein. Selbst wenn Sie noch nicht berichtspflichtig sind, kann ein freiwilliges ESG-Reporting Ihnen helfen, ein realistisches Bild Ihrer Nachhaltigkeitsleistung zu erhalten. Durch die doppelte Wesentlichkeitsanalyse identifizieren Sie die wirklich relevanten Bereiche und entgehen der Versuchung, irrelevante Details zu betonen. Auf dieser Basis können Sie Projekte, bei denen sie einen großen Impact haben und bereits Erfolge erzielen konnten auch groß kommunizieren, während gleichermaßen im Rahmen des ESG-Reportings auch transparent gemacht wird in welchen Bereichen man ggfs. erst am Anfang steht. 

Vermeiden Sie außerdem vage Sprache: Kommunizieren Sie klar und präzise. Unklare Begriffe könnten den tatsächlichen Umfang Ihrer Nachhaltigkeitsmaßnahmen verschleiern. Mehr dazu im Beitrag Greenwashing vermeiden. 

Wenn Sie für Ihr Unternehmen Fragen zu Nachhaltigkeitsstrategien und Nachhaltigkeitskommunikation haben, wenden Sie sich gerne an uns

Cherrypicking-Verzicht als Chance 

Cherrypicking untergräbt das Vertrauen der Verbraucher:innen, schadet der gesamten Branche und behindert die Transformation hin zu echten nachhaltigen Praktiken. Spätestens, wenn die oben genannten Gesetze auch in Deutschland geltendes Recht sind, sollten Unternehmen verbliebene Cherrypicking-Elemente in ihrer Nachhaltigkeitskommunikation kritisch überdenken. 

Darin liegen auch etliche Chancen. Um nur eine zu nennen: Indem Sie die „Cherries“ auf den Prüfstand stellen und Ihren Impact hinterfragen, stellen Sie vielleicht fest, dass das, was gestern gut kommunizierbar war, heute nur noch Ressourcen frisst, ohne Ihre Umweltleistung relevant zu verbessern. Dann doch lieber das Cherrypicking einsparen und an einer echten Nachhaltigkeitsstrategie arbeiten – die SAIM-Expert:innen beraten Sie gern. 

Mehr erfahren: 

Noch Fragen zu Unternehmenskommunikation, CSRD oder Green Claims für Ihr Unternehmen? Wenden Sie sich gerne an uns

Thema

Tags

Beitrag teilen

Bleiben Sie nachhaltig auf dem Laufenden. 

Sie wünschen sich Einblicke und Denkanstöße für eine nachhaltige Zukunft? Best-Practices zur unternehmerischen Nachhaltigkeitskommunikation ohne Cherrypicking? Updates zu unseren Events und Angeboten für Sie? Abonnieren Sie unseren monatlichen Newsletter!

Go To Up